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Andiamo ins Aostatal

Drei Tage im Aostatal zeigen: Ein Besuch in der kleinsten Region Italiens lohnt sich allemal. Insbesondere Wanderfans kommen dank des neuen Weitwanderweges Cammino Balteo auf ihre Kosten.

H ie und da bewegt sich etwas am Wegrand im Gebüsch und verschwindet flink im Wald. Eidechsen. Wahrscheinlich haben sie sich an den goldenen Strahlen der Spätsommersonne gewärmt. Unsere Schritte haben sie sicher schon von weitem gehört. Denn obwohl es noch sommerlich warm ist, macht sich der Herbst bemerkbar und der Weg ist bereits mit welkem Laub bedeckt, das unter unseren Füssen leise raschelt. Die Geräusche der sich aus dem Staub machenden Eidechsen sind stetige Begleiter auf den Wanderungen auf dem neuen Rundwanderweg Cammino Balteo. Auf insgesamt 350 Kilometern durchquert er das gesamte Aostatal und führt durch 46 Gemeinden. Alles in 23 Etappen. Das sind ganz schön viele. An diesem sonnigen Wochenende meistern wir drei davon.

Die Berge als Begleiter

Wir sind unterwegs auf der längsten der drei Teilstrecken. Der Start ist in Introd, Ziel ist das 12.5 Kilometer entfernte Villeneuve. Unsere Reiseführerin, Felicity Roulet, hat kurzerhand beschlossen, eine Extraschlaufe einzulegen, damit wir ein zusätzliches Seitental kennenlernen. Wir willigen ein, viel mehr bleibt uns bei diesem sympathischen Mix aus französisch-italienischem Charme und Nachdruck gar nicht übrig. Langsam kriechen die ersten Sonnenstrahlen über die schroffen Berggipfel und vertreiben die Schatten, die noch über den Wiesen und Wäldern liegen. Wir tauchen derweil ein erstes Mal in den Wald ein und werden auf der gegenüberliegenden Talseite von einer Bergkette begleitet. Es sind noch nicht die Viertausender wie der Gran Paradiso, aber deswegen nicht weniger beeindruckend. Die ersten Höhenmeter sind schnell überwunden, ohnehin sind diese auf dem gesamten Cammino Balteo grösstenteils harmlos. Denn der Weitwanderweg wurde bewusst in relativ tiefen Lagen angesetzt, damit er auch in den kühleren Jahreszeiten so lange wie möglich begehbar bleibt.

Horn um Horn

Begleitet werden wir auch vom Wasser. Meistens fliesst es durch ein Ru. Bei uns sind diese historischen Bewässerungskanäle insbesondere im Wallis besser bekannt als Suonen oder Bissen. Auf einigen Wegabschnitten sind die Leitungen offengelegt, auf anderen verlaufen sie nicht sichtbar unter dem Boden. Dann hört man nur das Rauschen und Glucksen des Wassers, wenn man einen der Schächte passiert.
Tief unten hören und sehen wir deutlich grössere Mengen Wasser, als wir aus dem Wald treten, über eine Brücke gehend den Torrente Savara überqueren und damit auf die andere Talseite wechseln. Der Torrente Savara ist einer der Flüsse, die den Nationalpark Gran Paradiso durchfliessen. In diesem befinden wir uns seit dem Start der Etappe. 70ʼ000 Hektar gross, reicht er vom Tal bis hinauf zu seinem Namensgeber, dem 4ʼ061 Meter hohen Gran Paradiso. 1920 schenkte König Viktor Emanuel III. das gesamte Gebiet dem italienischen Staat. Dies unter der Bedingung, dass alles unter Naturschutz gestellt werden würde. Somit war der erste Nationalpark Italiens geboren und wurde 1922 eröffnet. Dass es überhaupt so weit kam, war unter anderem den Steinböcken zu verdanken. Damit die Tiere nicht von Wilderern abgeschossen und allenfalls ausgerottet wurden, erklärte der damalige König Viktor Emanuel II. das Gebiet rund um den Gran Paradiso 1856 zum königlichen Jagdrevier. Alleine ihm war es vorbehalten, Steinböcke zu jagen. Das tat er dann auch, wie bei einem Besuch des Schlosses Sarre klar wird. Seine Jagdtrophäen und diejenigen seines Sohnes Umberto I. zieren noch heute in Form von Hunderten von Steinbock-Hörnern dessen Wände.

Tal der Burgen und Schlösser

Wir haben mittlerweile einige Höhenmeter gut gemacht und bewegen uns oberhalb der Talrille auf einem schmalen aber immer noch gut begehbaren Pfad in Richtung Villeneuve. Der Duft von Pinien steigt uns in die Nase und plötzlich öffnet sich der Blick weit hinaus ins Aostatal. Auf der anderen Seite sind die Häuser von Introd zu sehen und weit in der Ferne sogar der stattliche Mont Blanc, seine Spitze eingehüllt in eine weisse Wolkendecke. Bis zum Ziel ist es nun nicht mehr weit. Doch bevor wir dieses erreichen, taucht hinter einer Wegbiegung die Burg Châtel Argent auf. Vermutlich um 1275 erbaut, entlockt uns das stattliche Bauwerk ein staunendes «Oh!» und beschert uns damit einen perfekten Abschluss der eindrücklichen Wanderung.
Ohnehin ist das Aostatal ein Tal der Burgen und Schlösser. Viele sind öffentlich zugänglich, einige befinden sich im Privatbesitz. Manche sind renoviert, manche fallen in sich zusammen. Eines haben sie alle gemeinsam: Auch sie sind stetige Begleiter für all diejenigen, die auf dem Cammino Balteo unterwegs sind.

Weitere Informationen

Der Cammino Balteo
23 Etappen umfasst der neu erschlossene 350 Kilometer lange Rundwanderweg. Die einzelnen Etappen können bis zu sieben Stunden dauern, die Höhenunterschiede betragen dabei bis zu 700 Meter. Die Wanderungen, auf denen man 46 Gemeinden der italienischen Alpenregion durchquert, sind als mittelschwer eingestuft und damit sowohl für erfahrene Wanderer wie auch – zumindest einzelne Etappen – für Familien zu bewältigen. Gut zu wissen: Alle Start- und Endpunkte der 23 Etappen sind mit dem ÖV erschlossen.

Anreise ins Aostatal
Die Stadt Aosta liegt 70 Kilometer von Martigny und 134 Kilometer von Genf entfernt. Wer mit dem Auto anreist, erreicht die Stadt ab der Schweiz durch den Mont-Blanc-Tunnel oder durch den Grossen-St. Bernhard-Tunnel. Auch für ÖV-Fahrer gibt es Möglichkeiten, in die kleinste Region Italiens zu kommen. Ab Martigny fährt zum Beispiel zweimal täglich ein Bus in rund zweieinhalb Stunden ins Aostatal.

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