Für die einen sind es das ganz besondere Licht und die Farben der Côte d’Azur. Irgendwie scheint hier das Meer blauer und der Sonnenuntergang romantischer zu sein. Andere mögen das Laissez-faire der südfranzösischen Mittelmeerküste. Man nimmt sich Zeit für sich selbst und für den Genuss. Lässt die Uhren langsamer laufen. Das fällt leicht bei der Küche, welche ihren Ursprung in der rauen Welt der Fischer und Bauern fand und heutzutage auf hohem Niveau den internationalen Jetset verzaubert. So gross ist die Begeisterung für die Speisen der Côte d’Azur, dass die heimische Cuisine seit 2012 sogar den UNESCO Kulturerbe-Status besitzt. Und zwischen all den Delikatessen und Leckereien ist eine Spezialität der unangefochtene Star. Ein Kultgericht, welches für Südfrankreich steht, wie kaum eine andere Mahlzeit der Region. Die Bouillabaisse.
Kein anderer Teller vereint die Traditionen der Fischer und die Vorlieben der internationalen Connaisseure mehr als die Königin der Fischsuppen. Einst ein Armeleute-Essen, für welches Fischreste und Krustentierschalen in Salzwasser aufgekocht wurden, wird sie heute in schicken Restaurants in zwei Gängen serviert. Erst die Suppe, dann separat der Fisch und die Meeresfrüchte. Dazu reicht man Brot und Rouille, eine cremig-scharfe Knoblauchsauce.
Man ist sich der Verantwortung bewusst, sowohl der Historie als auch dem Touristen gegenüber. Deshalb hat man 1980 die Bouillabaisse-Charta kreiert, welche vorschreibt, welche Fische, welches Gemüse und welche Kräuter wann und wie benutzt werden dürfen. Dass der gelassene Südfranzose dabei den selben Fisch schon mal per provenzalischem und französischem Namen doppelt aufführt, um mehr Komplexität vorzutäuschen, gehört zum Spiel und darf nicht überbewertet werden.
Knurrhahn gehört in jedem Fall hinein, da sind sich alle einig. Ebenso wie Drachenkopf und Petersfisch. Tomate, Zwiebel, Sellerie und Lorbeer ebenso. Bei der Frage nach Pastis oder Wermut scheiden sich dann aber schon einige Geister. Im Zweifelsfall eben beides. Lange kochen muss eine gute Bouillabaisse, daher auch ihr Name, abstammend von bouillir à baisse, auf kleiner Flamme kochen. Schon im 1953 erschienenen Lied «La Bouillabaisse» von Fernandel lautet der erste Vers: «Pour faire une bonne bouillabaisse, Il faut se lever de bon matin» («für eine gute Bouillabaisse muss man früh aufstehen»).
Aus Sicht eines Sommeliers ist die begehrte Speise Fluch und Segen zugleich. Ihre Vielfalt an Aromen und die tiefe Würze machen es schwer, den einen passenden Wein zu finden. Doch genau da liegt auch die Chance für Kreativität. Und wer schreibt überhaupt vor, dass ein Gericht, welches in zwei Gängen serviert wird, nur einen Wein an seiner Seite haben darf?
Und zusätzlich zur rein geschmacklichen Seite kann der Wein hier noch eine weitere Rolle einnehmen. Denn Marseille ist nicht nur Heimatstadt der Bouillabaisse, sondern auch älteste Weinbaustadt Frankreichs. Die Phokäer waren es, die aus dem östlichen Mittelmeerraum die ersten Reben mitbrachten und somit 600 v.Chr. den Weinbau in Frankreich starteten. Ein schöner Rosé de Provence wäre also ein historisch ebenbürtiger Sparringspartner für unseren Fischeintopf. Nur sollte der Wein nicht zu kitschig sein und eher auf der frischeren Seite liegen. Der #LOU Rosé von der Commanderie de Peyrassol wäre ein herrlicher Auftakt für einen Bouillabaisse-Abend. Dezente Beerennoten und frische Zitrusfrucht untermalt von einer kräuterigen Würze, welche an die Felder der Provence erinnert. Gerade kraftvoll genug, um auch mit den ausgefalleneren Aromen der Suppe wie Knoblauch, Safran und Lorbeer zu harmonieren.
Und am besten besorgt man sich die Flasche beim Weingut selbst. Neben Weinbau und einem Restaurant bietet das im 13. Jahrhundert von Tempelrittern gegründete Weingut noch die eindrucksvolle Kunstsammlung seines aktuellen Besitzers Philippe Austruy.
Auch für die zweite Flasche des Abends bleiben wir in der Umgebung Marseilles, fahren allerdings an Avignon vorbei in den weltbekannten Weinort Châteauneuf-du-Pape. Benannt nach der Sommerresidenz des Papstes Johannes XXII hat sich die nur knapp über 3’000 Hektar grosse Weinregion eine internationale Fangemeinde in der Rotweinszene aufgebaut. Einige der teuersten Weine Frankreichs kommen von hier. Wir sind heute allerdings auf einer anderen Mission. Zum zweiten Gang der Bouillabaisse suchen wir eine Flasche des raren weissen Châteauneuf-du-Pape Blanc. Zum Beispiel vom biodynamisch arbeitenden Weingut Mas de Boislauzon des Geschwisterpaares Christine und Daniel Chaussy. Der seltene Wein wird aus den Rebsorten Roussanne und Grenache Blanc gekeltert und ist mit 14% Alkohol sicher kein Leichtgewicht. In dunklem Goldgelb aus dem Glas strahlend, zeigt er uns dichte Noten von reifem Pfirsich, Zitrusfrucht-Öl und nektartriefenden Blüten. Passend zur reichhaltigen Fischportion und der Rouille ist dies ein Weisswein, wie er potenter und kräftiger nicht sein könnte.