Skip to main content

MEHR HEIDI

BRAUCHT

DAS LAND

Beim Werben um die Gunst von Winterferiengästen wird allzu oft zu Superlativen gegriffen. Fast schon wie beim Olympischen Motto «citius, altius, fortius» besticht auch im Wintertourismus vermeintlich nur, wer andere Destinationen ausbooten kann: Pistenkilometer, Transportkapazität oder Hotelbetten – dies sind die Währungen im Wettstreit. Etwas leiser und bodenständiger präsentiert sich die Schweizer Region Heidiland. Wie schon die legendäre Namensgeberin – klein, aber oho – zeigt das Heidiland ein Herz aus Gold, ein Panorama, das einen nicht mehr loslässt und eine Freundlichkeit, nach der man sich auch im Alltag sehnt.

Zugegeben, Heidiland war für uns während Jahren eine Region, wo wir im Sommer für einen Tag biken oder im Winter für wenige Stunden auf die Piste gingen. Im Dreieck Rheintal und West-Ost-Achse der Schweiz mit unmittelbarem Autobahnanschluss ideal erreichbar, erstreckt sich das Heidiland vom Walensee bis vor das bündnerische Landquart. Der grösste Teil der Tourismusregion liegt im Kanton St. Gallen. Ich erinnere mich gut an die Geschichte von Heidi – zwei Kinderbücher von Johanna Spyri, die sie im späten 19. Jahrhundert verfasste und die bis heute zum Schullesestoff Schweizer Primarschüler zählen.

Idylle Schönhalden

Den eingangs beschriebenen bestechenden Charme konnte sich das Heidiland bis heute bewahren. Keine fünf Minuten nach der Autobahnausfahrt erreichen wir den Parkplatz der Bergbahn Schönhalden in Flums. Acht Personen finden in der Doppelkabine der Bergbahn Platz. Um die knapp 1‘000 Höhenmeter bis zum Berghotel Schönhalden zu bewältigen, ruft man mit dem Stationstelefon den Inhaber persönlich an: Reto Flury bittet, in die sogleich ankommende Gondel einzusteigen. An diesem Morgen sind wir nicht die einzigen Abenteurer, die Richtung Gipfel ziehen. Eine kleine Gruppe Skitourengänger kanns kaum erwarten, die frisch verschneiten Gipfel zu erklimmen, und auch unsere sprichwörtlichen Hufe (eigentlich sind es heute Schneeschuhe) scharren bereits ungeduldig. Die Bahnfahrt bietet bereits eine atemberaubende Sicht auf die gegenüberliegenden Churfirsten, den Walensee, das Rheintal und ein kleines Gämsenrudel, das am Waldrand an der Schneegrenze nach saftigem Grün sucht.

Für uns sind es zwei andere Farben, die den Morgen dominieren: schneeweiss und himmelblau. Nicht nur wir sind in den Ferien, auch die Wolken sind verreist. Für vier Stunden tauchen wir in die rare Stille des weiten Panoramas ein und blicken demütig zu diesen riesigen Zacken am Horizont, die wie eine Krone der kleinen Königin Heidi aussehen. Der gut ausgeschilderte Schneeschuh-Trail führt vorbei an tiefverschneiten Wäldern, über die Baumgrenze mitten in die schroffen Gipfel auf die Alp Mädems und auf dem Rückweg wieder hinunter zu Flurys Berghotel. Das Käsefondue auf der Sonnenterrasse ist nach diesem Marsch unerlässlich und schmeckt wohl auch daher so gut, weil der Käse von der Alpkäserei bis in unser Caquelon keine 100 Meter reisen musste. Und sofort kommt es wieder: dieses Gefühl, dass Heidis Uhren einfach etwas entschleunigter ticken und der rasante Alltag magisch in weite Ferne rückt.

Vielleicht ist es Zufall, dass unser Besuch im Heidiland genauso kontrastreich erscheint, wie die vielen Gegensätze in der Spyri-Geschichte. Für uns ist aber genau das auch der Reiz an unserer Reise. Von der beschaulichen Alltagsflucht auf Schneeschuhen geht es direkt in die Tamina-Therme innerhalb des mondänen Grand Resorts Bad Ragaz. Vor 150 Jahren entstand hier das erste überdachte Thermalbad Europas. Heute beindruckt moderner 5-Sterne-Luxus in einem der besten Schweizer Hotels. Wir lassen unsere Seele in der erst vor Kurzem eröffneten Saunawelt baumeln und vergessen vor lauter Entspannung beinahe, dass uns beim Abendessen im «verve by sven» auch die kulinarischen Preziosen der Region gezeigt werden – was in der modernen und doch sehr gepflegten Atmosphäre des Grand Resorts einem perfekten Tag buchstäblich noch das Sahnehäubchen aufsetzt. Der Weg ins warme Bett des Schlosshotels Ragaz führt an den Toren des Grand Casinos vorbei – ein verwegener Gedanke wirft einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel, aber die mahnenden Worte von Heidis Alpöhi, dass man sich im Tal vor dem Laster vorsehen soll, vertreibt uns die Flausen aus dem müden Kopf.

Leicht am Berg…

Für die literarische Auffrischung: Heidis Geschichte ist gegenüber der urbanen Bourgeoisie der Jahrhundertwende eher kritisch eingestellt. Man schätzt blaues Blut vor allem in Form von Kaiserwetter und davon wird uns hier jede Menge geboten. Darum beenden wir unser Frühstück im Schloss Ragaz rasch und machen uns mit der Pizolbahn auf ins Skigebiet. Das komplette Equipment holen wir uns erst auf 1‘500 m im Rental Shop ab und sind flugs auf über 2‘200 m, um den ganzen Tag auf perfekt präparierten Pisten zwischen Wangs und Bad Ragaz zu carven, was unsere Stahlkanten hergeben. Die vielen schnellen Sessellifte lassen keine langen Schlangen aufkommen, und auch in der starken Nachmittagssonne bleibt das magische Weiss griffig – weil alle Abfahrten an Nordhängen verlaufen.

…verwöhnt im Tal

Das Glücksgefühl nach einem wolkenlosen Skitag ist schwierig zu übertreffen. Ich erkläre mir das damit, dass Skifahren die perfekte Verkörperung des Kindseins darstellt: etwas tun, ohne sichtbaren Nutzen, einfach weil es Spass macht. Man könnte fast nostalgisch denken, dass früher alles besser oder zumindest unbeschwerter war. Diesen verklärten Gedanken hängen wir im alten Weintorkel des Schlosses Maienfeld nach. Und es sind wieder diese Kontraste: alte Schlossgemäuer, eine sehr schicke Apéro-Lounge, ein hippes lokales Craftbeer, ein im Glaskasten perfekt inszenierter Weinkeller und ein hervorragendes Abendessen im Rittersaal des Schlosses. Was aus der Distanz so gegensätzlich erscheint, wird durch herzliche Gastfreundschaft, Liebe zum Detail und durch echt empfundene Nähe zum nahtlosen Verwöhnerlebnis.

Zur Hochform auslaufen

Auch die schönsten Geschichten nehmen ein Ende, und die Zeit rast bekanntlich am schnellsten, wenn man sich amüsiert. So sind wir gegen Ende unserer Reise ganz entschleunigt am Winterwandern und steigen auf sehr gepflegten Schneewanderrouten steil hoch auf den Maschgenkamm. Die kalte Bise, aber wohl viel mehr die Aussicht, verschlägt uns den Atem, und mit sonnengegerbten Wangen beschliessen wir den Tag beim Menu Surprise im Rössli in Bad Ragaz. Was nach Metzgete und Stumpen klingt, ist eine Trouvaille mitten im Ort. Doris und Ueli Kellenberger schaffen es, mit klarer und nüchterner Architektur im Lokal und auf dem Teller eine Wohnzimmeratmosphäre zu schaffen und geben uns das Gefühl, definitiv von Heidis Nachfahren aufgenommen worden zu sein. Etwas wehmütig verlassen wir die Region Heidiland wieder. Innerlich schmunzeln wir, weil uns diese Region, die Gastfreundschaft und die Verbundenheit der Leute so begeistert hat. Erst Tage später folgt die Einsicht, weshalb viele Schweizer Mühe mit der Heidi-Idylle aus dem Kinderbuch bekunden: wir werden bis heute von anderen Nationen auf das Klischee vom Leben auf der Alp, vom Kühe melken und Geissen zählen reduziert. Der Urlaub in der Region Heidiland hat uns eines Besseren belehrt. Mehr Heidi braucht das Land, nein, die Welt!

Schlafen und Schlemmen im Heidiland

Leave a Reply

19 + siebzehn =