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Reine Natur

Schiffsreise in den Amazonas

Regenwald und seltene Vögel: eine Schiffsreise in den Amazonas gehört zu den unvergesslichen Cruising-Highlights. Mit der Seabourn Venture von Rio de Janeiro nach Manaus.

Lange, ruhige Wellen ziehen hinüber an den Strand. Sie tragen Glanzlichter, golden und orange schimmernd. Es ist früher Abend, wir sind vor einer halben Stunde aus dem Hafen von Rio de Janeiro ausgelaufen, haben die Ilha de Cotunduba passiert und fiebern dem grossen Moment entgegen, wenn sich der Zuckerhut ins Bild schiebt und später in der Ferne die Copacabana mit den funkelnden Art Deco Häusern am berühmtesten Strand der Welt.

Wir stehen am Bug, auf der Steuerbord-Seite der Seabourn Venture, dem ersten speziell für Expeditionskreuzfahrten konzipierten Schiff der Reederei, kompakt, luxuriös, das uns auf einer 12tägigen Fahrt bis in den Amazonas und nach Manaus bringen wird. Hinter uns befindet sich die sogenannte Bow Lounge, ein wunderbarer Ort, perfekt eingerichtet für Beobachtungsfahrten. Hier stehen unter den Frontfenstern Monitore mit Seekarten, Bordkameras und Navigationsdaten zur Verfügung, live wie auf der Brücke. Auch Wind- und Wellenvorhersagen lassen sich hier abrufen. Draussen, ganz vorn, gibt es sogar einen Bugspriet, von welchem aus man beim Blick nach unten beobachten kann, wie der Bugwulst durchs Wasser gleitet. Dieser Ort, dieses Deck, wird in den nächsten Tagen gerade in den frühen Morgenstunden der Treffpunkt sein all jener Frühaufsteher, die Sonnenaufgänge und Seevögel lieben und Hoffnung haben, vielleicht auch mal einer Schule von Delfinen zu begegnen.

Wir halten das Fernglas fester, der steilwandige, fast ausserirdisch anzusehende Pão de Açúcar kommt näher, jener an der Spitze abgerundete Kegel aus schalenartig abgewittertem, grobem gneisartigem Granit, eines der Wahrzeichen von Rio, das die Millionen von Reisenden üblicherweise nur von der Landseite aus bestaunen. Wir haben nunmehr das Privileg, den Zuckerhut von der Wasserseite kennenlernen zu dürfen.

Langsam wird es dunkler, Zeit, um ins Innere des wie ein Boutique-Hotel gestalteten 264-Passagiere-Schiffs zum Dinner zu flanieren. Wir entscheiden uns für das elegante Hauptrestaurant mit dem simplen Namen «The Restaurant» mit

Bedienung am Platz. Optischer Höhepunkt ist hier der gewaltige gläserne Weinschrank, gut bestückt mit ausgezeichneten Gewächsen aus der ganzen Welt. Die Küchencrew legt sich mächtig ins Zeug – das wunderbar zarte Lamm-Carrée zergeht quasi auf der Zunge.

Wach werden wir am ersten Etappenziel, dem Badeort Bùzios, östlich von Rio. Die See liegt schimmernd in der Morgensonne, gefrühstückt wird unter freiem Himmel in «The Patio» am Heck auf Deck, Aussenbereich für das Buffet-Restaurant «The Colonnade» und zugleich Pooldeck mit Infinity-Pool und der Patio Bar, wo für Übermütige bereits erste Champagner-Gläser gefüllt werden. Unterdessen sind bereits einige der bordeigenen Zodiaks zu Wasser gelassen worden, grosse, stark motorisierte Schlauchboote, die über eine beruhigende Stabilität verfügen. Die schwarzen Zodiaks sind aus robustem synthetischem Kautschuk gefertigt, der selbst rauen Kiesstränden und scharfkantigem Eis standhält. Das macht sie ideal für Expeditions-Kreuzfahrten, insbesondere auch in Polar-Regionen. Wenn keine andere Möglichkeit vorhanden ist, werden die Zodiaks auch als Shuttleboote genutzt für Ausflüge an Land. In Bùzios können mit lokalen Ausflugsbooten weite Sandstrände und pittoreske Buchten erkundet werden, die bestens zum Baden und Tauchen geeignet sind. Auch Wasserschildkröten geben hier ihr Stelldichein. Das Treiben an der Promenade mit ein paar Modegeschäften und gemütlichen Cafés zeigt die gemächliche und fröhlich unbekümmerte Seite von Brasilien. Wir freunden uns an mit Martha, einer jungen Studentin mit dunklem Lockenkopf und strahlenden Augen, die im Madame Toffi Café köstlichen Milchkaffee für uns zaubert.

Am nächsten Tag lernen wir auf dem Schiff Sebastian vom 26-köpfigen Expeditions-Team kennen. Seb, wie ihn seine Freunde nennen, ist ausgebildeter Hubschrauberpilot und war viele Jahre für die amerikanische Navi tätig, auch in Spezialoperationen der sogenannten Joint Interagency Task Force South. Deren Aufgabe: Kampf gegen die südamerikanischen Narcos, die mit selbst gefertigten Unterwasserbooten von Kolumbien durch das Amazonas-Gebiet über den Atlantik bis nach Spanien riesige Mengen von Drogen schmuggelten. Jetzt steht Seb als Pilot bereit für die beiden nagelneuen U-Boote vom Typ Cruise Sub 7 des niederländischen Herstellers U-Boat Worx. Stolz führt er uns zu den jeweils fünf Millionen Dollar teuren Hightech-Geräten. Diese liegen gut verzurrt in ihrem Hangar auf Deck Drei. Jeweils sechs Passagiere plus Pilot finden in den rund zehn Tonnen schweren Booten Platz. Das klimatisierte U-Boot hat zwei Rücken an Rücken liegende Acrylkugeln, wobei drei Passagiere nach vorne und drei nach hinten schauen. Die Sitze sind auf drehbaren Plattformen montiert, sodass sich jeder Gast neu positionieren kann, um die gleiche Aussicht auf die Unterwasserwelt zu geniessen. Insgesamt acht Triebwerke gibt es: vier vektorielle horizontale Triebwerke, zwei dedizierte horizontale Triebwerke und zwei dedizierte vertikale Triebwerke verleihen dem Sub 7 nicht nur maximale Agilität, sondern auch die Leistung, um durch starke Strömungen zu navigieren. Leider, so gesteht uns Seb, kämen die U-Boote auf der Brasilientour nicht zum Einsatz. Das Wasser im Amazonas sei einfach viel zu trüb, um unten irgend etwas zu sehen. Ein weiteres Hindernis seien die im Strom treibenden Sedimente. Insofern kämen die U-Boote vor allem während der längeren Arktis- oder Antarktis-Kreuzfahrten zum Einsatz.

Besonders schön sind die folgenden Seetage. Man kann den Vorträgen der Historiker, Biologen und Vogelkundler lauschen, Wäsche waschen in der kostenlosen Guest Laundry mit mehreren Waschmaschinen, Trockner und Bügeleisen, sich am Nachmittag in der Constellation Lounge einfinden zum traditionellen British Afternoon-Tea, mit anderen Gästen plaudern oder einfach nur meditative Stunden verbringen auf einem der Decks.

Diese Stunden draussen erweisen sich als besonders kostbar. Die See ruhig, das Licht mild, kein Land in Sicht, nichts, was einem den Blick verstellt. Keine Masten, Windräder, Häuser, Betonschluchten, Verkehrssignale, einfach nur: Weite und Unendlichkeit. Die ganze Welt ein Himmel und das Meer. Der Atlantik wird zum Kraftort, wo man frei atmen kann, wo Wunden heilen. In solchen Stunden reinigen sich die Sinne, entsteht Platz für das Neue. Die salzhaltige Luft an der See bekommt unserer Seele, unserer Lunge und unseren Bronchien gleichermassen gut.

Nach Stopps in Recife, Natal und der feierlich zelebrierten Äquator-Überquerung nähern wir uns schliesslich der Amazonas-Mündung und damit dem Höhepunkt der Reise. Schon Hunderte Meilen vorher kündet die sich verändernde Farbe im Atlantik das Ziel an. Erlebten wir in den Tagen zuvor eine ungewöhnlich blaue See, wird das Wasser stetig brauner und grüner. Plötzlich tauchen vermehrt Delfine auf, die Vögel werden zahlreicher.

Es geht alles ganz langsam, nahezu unmerklich. Was Anfangs riesig wie ein See war, bekommt nach und nach Konturen, irgendwann tauchen an den fernen Ufern des wasserreichsten Flusses der Erde die Baumlinien des tropischen Regenwalds auf, man erkennt hölzerne Behausungen auf Stelzen, von Ferne winkt ein Mann. Hier und da knattert ein schmales Boot heran, versucht für ein paar Meter des Weges mitzuhalten mit unserem Schiff. Vierundzwanzig Stunden später unterscheidet sich die Kulisse nur in Nuancen. Da wir während der Regenzeit unterwegs sind, verdrängen immer mal wieder dunkle Wolken das Blau am Himmel und ein sanfter warmer Schauer prasselt auf uns herunter. Später trocknen Bootsleute in weissen Overalls mit breiten Wasserschiebern den Boden. Die erfahrenen Gäste tragen leichte Regenjacken und verharren auch dann an der Reling, wenn es schüttet. Später lässt sich die nasse Schutzkleidung problemlos trocknen in den geheizten Spezialschränken, die in jeder Suite zur Verfügung stehen.

Wir erreichen Santarém, auf halbem Weg zwischen Belém und Manaus im Herzen des brasilianischen Amazonasgebiets, mit rund 300’000 Einwohnern und Regionalflughafen eine unerwartet grosse, freilich beschaulich gebliebene Stadt. Die Seabourn Venture geht vor Anker und die Gäste strömen aus zu einer Vielzahl von Aktivitäten. Eine Kajakgruppe geht in Ufernähe in kleinen Nebenarmen auf Erkundungstour, eine andere Gruppe besucht auf einem hölzernen Flussschiff den Nebenfluss Rio Tapajós und übt sich im Piranhafischen. Es regnet in Strömen, was aber der Stimmung keinen Abbruch tut. Vier Fische werden gefangen und dann kurzerhand an Bord gegrillt. Das Fleisch ist aromatisch, mit ziemlich vielen Gräten. Erste Wehmut macht sich breit, denn nach einem kurzen Stopp im gastfreundlichen Dorf Parintins mit seinen Siedlerläden, wo man neben Dieselgeneratoren, Bootschrauben und Ledersätteln auch Damenbinden, Naturmedikamente und Strohhüte erstehen kann, wartet das Ende der Brasilienkreuzfahrt in Manaus. Noch ein kurzer Besuch im legendären farbenprächtigen Opernhaus mit seinen vielen Säulen, ein kühles Kokosnusswasser in der Markthalle, und schon sind wir am Flughafen. Auf nach São Paulo.

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