Guernsey
«Was für ein entzückender Ort! Welch schöne Pfade!»
So poetisch beschrieb Pierre-Auguste Renoir (1841-1919) die Kanalinsel Guernsey in einem Brief an seinen Freund Edmond Maître. Im Spätsommer 1883 verbrachte Renoir einige Wochen auf der Insel und schuf dabei Gemälde und Skizzen, die seine Faszination für die spektakuläre Küstenlandschaft widerspiegelt.
Guernsey – mit den zugehörigen Inseln Alderney, Herm und Sark – ist ein Kronbesitz und gehört somit nicht zum Vereinigten Königreich. Das sogenannte Bailiwick of Guernsey, was soviel wie Vogtei bedeutet, ist direkt der englischen Krone unterstellt. Obwohl ein eigenes Parlament die Geschicke der Insel lenkt, sorgt sich die britische Regierung um die Verteidigung, internationale Beziehungen sowie Zoll- und Einwanderungsbelange.
Mit nur etwas mehr als 60 Quadratkilometern Fläche ist Guernsey zwar eine überschaubare Insel, bietet aber nichtsdestotrotz eine grosse Vielfalt an Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten: Ob Cliffwalk auf Renoirs Spuren, erfrischendes Bad in den La Vallette Meeres-Pools, Shopping in der Hauptstadt
St. Peter Port, Rundgang durch die ehemalige Residenz von Victor Hugo, ein Besuch im Deutschen Untergrund Spital aus dem 2. Weltkrieg oder ein erfrischendes Bad an einem der 26(!) Strände. Und dann ist da diese unvergleichlich üppige Landschaft im oft mystischen Licht, die allein schon einen Besuch der Insel im Golfstrom wert ist.
Einmal rund um die Insel, bitte…
Wer gerne auf Schusters Rappen unterwegs ist, wird auf Guernsey sein Paradies finden. Der Coastal Path windet sich auf rund 60 Kilometern der ganzen Küsten entlang und kann – je nach Musse und Kondition der Wanderer – in vier Tagesetappen bewältigt werden. Dichtbewaldete Hügel wechseln sich ab mit Blumenwiesen und schroffen Felsen. Und immer sind da die traumhaften Aussichten auf das glasklare Wasser des Ärmelkanals, romantische Buchten und bizarr geformte Klippen.
Die Teiletappe vom Bella Luce Hotel in St. Martin bis St. Peter Port hat es uns besonders angetan. Vom Hotel zum Küstenweg sind es nur ein paar Schritte. Wir wandern durch verwunschene Wälder, die unvermittelt grossartige Aussichten auf die Klippen, das Meer und kleine Inseln in der Ferne preisgeben. Kurz vor der Moulin Huet Bay, einer der bekanntesten Strände auf Guernsey, wandern wir auf den Spuren Renoirs. An fünf verschiedenen Locations finden sich Bilderrahmen, durch die man genau denjenigen Blick auf die Bay geniessen kann, den Renoir für die Kreation einiger seiner Werke hatte – auch wenn sich die Vegetation im Laufe der Zeit verändert haben mag. Von der Hauptroute führen immer wieder kleinere Pfade hinunter zum Meer und zu traumhaften Buchten. Nicht verpassen darf man einen Snack im Beach Cafe at Fermain. Das charmante Strandbistro liegt direkt am Sandstrand und was passt da besser dazu als ein frisches Krabbenbrötchen. Nach der Stärkung und einem eventuellen Bad in den kühlen Wellen geht’s weiter bergauf-bergab, vorbei an Überresten von Festungen und Kanonen aus der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg, durch schmale Wege hoch über dem Meer und schliesslich hinunter zu unserem Ziel St. Peter Port.
Hafenstadt mit Charme
Die kleine Hauptstadt mit rund 18’000 Einwohnern schmiegt sich im Westen an «the heights», einen Hügel mit den besten (und teuersten) Wohnlagen und im Osten öffnet sich St. Peter Port zum Hafen mit dem imposanten Castle Cornet. Die kopfsteingepflasterten Gassen in der Altstadt strahlen Gemütlichkeit und einen Mix aus englisch-französischem Charme aus. Unzählige kleine und kleinste Geschäfte, Cafés und Bars säumen die Strassen und erfreut stellt man fest: hier sind keine globalen Ketten angesiedelt. Weder Benetton noch McDonalds noch Zara noch…Dafür locken Spezialitäten-Geschäfte wie The Guernsey Shop, «the best place in the Channel Islands to purchase the traditional Guernsey Jumper», wie uns ein Einheimischer bestätigte. Der Pullover wurde zuerst im
16. Jahrhundert für die Fischer gestrickt und musste die Männer bei Stürmen, Kälte und Nässe schützen. Der Guernsey Jumper hat überlebt und rühmt sich heute noch, das langlebigste Kleidungsstück zu sein, das der Mensch kaufen kann. Nur aus Guernsey-Wolle von Guernsey-Schafen und in Guernsey gefertigt, versteht sich von selbst. Und wenn sich dann irgendwann der Hunger meldet ist ein Guernsey Gâche (ausgesprochen Gosh) genau das Richtige. Das Hefegebäck, angereichert mit Trockenfrüchten, wird mit viel Guernsey-Butter – auch darauf sind die Guernseyaner sehr stolz – gegessen.
Bei der Town Church dann die nächste Überraschung. Auf einer Holzbank sitzt Victor Hugo, der grosse französische Literat. Als er sich 1851 gegen Napoleons Staatsstreich auflehnte, wurde er verbannt und landete schliesslich 1855 in Guernsey, wo er die nächsten 15 Jahre verbrachte. Die Statue zeigt ihn neben einem riesigen Octopus in Anspielung auf seinen Roman «Les travailleurs de la mer», den er auf Guernsey geschrieben hat und seinen Einwohnern widmete. Sein von ihm selbst reich dekorierter Wohnsitz, das Hauteville House, ist heute ein Museum und nur schon wegen der fantastischen Aussicht auf den Hafen einen Besuch wert.
A propos Hafen. Der Tidenhub (Unterschied zwischen Flut und Ebbe) kann auf Guernsey bis zu unglaublichen zwölf Metern betragen. Dies zeigt sich sehr eindrücklich bei der Planung eines Ausfluges nach Lihou, der kleinsten teilweise bewohnten Insel. Der Fussgängerdamm – die Überquerung dauert rund 20 Minuten – ist nur zu ganz bestimmten Zeiten begehbar. Der «Fahrplan» richtet sich nach der Tide und wird monatlich im Internet auf die Minute genau publiziert. Der Wasserstand spielt auch bei den Meeres-Pools von La Vallette seine Rolle. Bei Flut werden die Pools überspült und verwandeln sich in eine spektakuläre Badelandschaft. Die künstlichen Wände verhindern, dass sich bei Ebbe das ganze Wasser zurückzieht, sodass man sich auch bei low tide ein Bad gönnen kann. Die Namen der vier Pools zeugen von der ursprünglichen Zuordnung: Der Ladies’ Pool, der Gentlemen’s Pool, der Children’s Pool und der Horseshoe-Pool, ein U-förmiges Bassin mit direktem Zugang zur Bay. Heute sind selbstverständlich alle Pools für jedermann zugänglich.
Sollte das Wetter mal nicht ganz mitspielen, lohnt sich ein Besuch im La Vallette Underground Military Museum. Der Fokus der Ausstellung liegt auf der militärischen Geschichte Guernseys während des ersten Weltkrieges und der Deutschen Besatzungsgeschichte von 1940 bis 1945. Die Ausstellungsräume befinden sich in einem Tunnel-Komplex, der von der deutschen Besatzung als Diesel-Lager für ihre U-Boote gebaut wurde.
Der Seigneur von Sark
Die viertgrösste Kanalinsel ist ein absolutes Unikat und sollte auf ihrer To-see Liste nicht fehlen. Sie liegt gerade mal 40 Kilometer von der französischen Küste entfernt und wird von einem Feudalherrn – dem Seigneur – «regiert». Eigentümerin der Insel ist die englische Krone. Der Seigneur ist der Lehnsmann, der bis zum heutigen Tag einen symbolischen Jahreszins an den Lehnsherr überweist. Christopher Beaumont, der 23. und aktuell amtierende Seigneur, bewohnt denn auch ein standesgemässes Anwesen. Seit 1730 residieren in dem stattlichen Haus die Seigneurs resp. Dames von Sark. Das Schmuckstück ist zweifelsohne der riesige Garten, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Er gilt mit seinen verwunschenen Wegen, einem veritablen Labyrinth, den Teichen und unzähligen Rosenbüschen als eine der bedeutendsten Gartenanlagen auf den Kanalinseln.
Nicht nur das Sarksche Gesellschaftssystem ist für die heutige Zeit ziemlich «schräg». Auf der ganzen Insel gibt es genau drei Verkehrsmittel: der Traktor, die Pferdekutsche und das Pushang, wie man das Velo in der heimischen Sprache – dem Guernésiais – nennt. Befestigte Strassen? Fehlanzeige. Naturstrassen prägen das Bild zusammen mit den ’zig Traktoren, die für vielfältigste Aufgaben eingesetzt werden. Ob Krankenwagen, Müllabfuhr oder Ortsbus – die Lok ist immer ein Traktor. Zur Erkundung der kleinen Insel mietet man sich am besten ein Velo und steuert dann mal das Zentrum an. Ein Sammelsurium von kleinen Geschäften und Bistros säumt die Strasse. Und nicht zu vergessen das Postamt mit dem goldenen Briefkasten zu Ehren des Dressurreiters Carl Hester, aufgewachsen in Sark und 2012 Olympiasieger für das Vereinigte Königreich.
Und wenn der Magen knurrt?
Beim Essen zeigt sich der französische Einfluss am deutlichsten. Moules, Croque Monsieur, Quiche Lorraine oder Foie gras finden sich auf den Speisekarten und viele der charmanten Restaurants haben sich französische Namen gegeben: le Nautique, la Fregate, le Petit Bistro. Im Letzteren haben wir hervorragend gegessen und wähnten uns wirklich irgendwo in Südfrankreich. Das Ambiente, die Kellner, die aufgetischten Speisen hätten in der Provence nicht besser sein können. Ohne Reservation läuft aber gar nichts. Das Bistro war während unseres Besuches bis auf den letzten Platz besetzt.
Wem der Sinn eher nach traditioneller englischer Küche steht kommt auch auf seine Kosten. Die Fish ’n’ Chips im Cobo Bay – zum Beispiel – überzeugen selbst die grössten Skeptiker. Und wer bei der Zubereitung seines Fisches selber Hand anlegen will, dem sei das Restaurant des Saints Bay Hotel empfohlen, wo der Chef gerne ein Dinner im nahen Garten organisiert, bei dem die Gäste sich auch mal am Fische Filettieren versuchen dürfen.
Weitere Informationen
Vögele Reisen bietet eine Erlebnisreise auf die Kanalinseln an, Imbach Reisen eine Wanderreise. Neben Guernsey und einem Tagesausflug nach Sark steht bei beiden Reisen auch die Insel Jersey auf dem Programm.