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Juist und Norderney

Zwei Inseln – zwei Welten

Juist und Norderney, zwei der insgesamt acht ostfriesischen Inseln in der Nordsee, könnten unterschiedlicher nicht sein. Obwohl nur wenige Kilometer voneinander getrennt, erlebt man hier zwei ungleiche Welten. Zwar werden beide Inseln durch das Weltnaturerbe Wattenmeer geprägt, steht auf beiden Inseln die Natur absolut im Vordergrund und doch gibt es riesige Unterschiede.

Kein Auto, nur Pferdefuhrwerke und Velos auf Juist und deshalb slow-feeling live. Eingeschränkter Autoverkehr in der Stadt Norderney und nachts in der Fussgängerzone so etwas wie Ballermann light. 1’500 Insulaner auf Juist stehen etwa 6’000 Einwohnern auf Norderney gegenüber. Und in der Hochsaison haben beide Inseln rund sechs Mal mehr Gäste als Einwohner. Gemeinsam ist auch, dass auf beiden Inseln Ebbe und Flut den Lebens-Rhythmus bestimmen. Und dass in der Hochsaison kaum ein Zimmer frei bleibt.

Seit 2009 Weltnaturerbe der UNESCO: Das Wattenmeer um die ostfriesischen Inseln sind eines der grössten Ökosysteme seiner Art auf unserer Erde. Es ist das grösste zusammenhängende Sand- und Schlickwattsystem der Welt. Die durch den ständigen Gezeitenwechsel geprägte Landschaft – seit 1986 der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – ist ein wahrlich ursprünglicher Lebensraum. Bei Ebbe, barfuss oder mit Gummistiefeln und begleitet von einer Wattführerin (alleine wäre viel zu gefährlich!) hinaus zu marschieren, zu beobachten und zu staunen, gehört zu den unvergesslichen Erlebnissen. Es ist eine Erfahrung für alle Sinne: man schmeckt die salzige Luft, man spürt den Schlick zwischen den Zehen und atmet den ganz speziellen Geruch ein. Mehr als 10’000 verschiedene Einzeller, Pilze, Tier- und Pflanzenarten leben in dieser Übergangswelt zwischen Land und Meer. Wie sagte doch der Marketingmann von Juist? «Wir sind Teil der Natur und die Insel der Entschleunigung.» Das Wattenmeer beweist es.

Wander- und Naturparadies Juist

Wer nach einem feinen, ausgiebigen Frühstück in Danzer’s Hotel Achterdiek vor die Türe tritt, steht vor der ersten schwierigen Entscheidung: geht meine heutige Wanderung oder Velotour nach links oder nach rechts? Das kleine Örtchen Juist auf der gleichnamigen Insel liegt ziemlich genau in der Mitte der schmalen, nur rund 500 Meter breiten, aber 17 km langen Inseln mit ihrem ebenso langen weissen Sandstrand. Nach links geht’s Richtung Westen, nach rechts in Richtung Osten.

Wer nach Osten geht, kommt zuerst zum Otto Leege-Pfad. Nur ein paar hundert Meter ausserhalb des Ortes führt dieser von einem ehemaligen Lehrer angelegte Pfad mitten durch die Dünen. Er ist gut ausgebaut, damit er nicht verlassen und die Tierwelt dadurch nicht gestört wird. Neben den faszinierenden Ausblicken auf einer Aussichtsplattform warten auch ein paar Überraschungen auf die Spaziergänger. Zum Beispiel eine Klangschale oder eine Windharfe, die beim ständig wehenden Wind selbstständig feine Klänge von sich gibt. Und man überschreitet hier den 7. Längengrad.

Das Ostende der Insel bildet der Kalfamer Juist, das jüngste Gebiet der Insel und ein wichtiges Vogelrast- und Nistgebiet. Während der Brutzeit darf das Gebiet nur geführt betreten werden, in der übrigen Zeit nur auf den festgelegten Wegen. Eine Rundwanderung empfiehlt sich nur bei Niedrigwasser, um den nötigen Abstand zu den Vogelkolonien wahren zu können.

Wer lieber dem Sonnenuntergang entgegen geht, der kommt unweigerlich an der Domäne Bill vorbei. Laut unserem Gastgeber Stefan Danzer, dem Besitzer des Achterdiek, einer der Hotspots der Insel. Die Fahrradtour dorthin ist einer der Klassiker der Insel. Und die Rosinenstuten – ein Hefegebäck – in der Domäne ein Muss. Nach sechs Kilometern Fahrt, womöglich bei Gegenwind, hat man sich diese Stärkung wohl verdient. Aber man wird nicht alleine sein. Alleine ist man so oder so selten.

Ohne Fähre läuft nichts

Die Tide bestimmt den Lebensrhythmus auf beiden Inseln. Auf Juist noch mehr als auf Norderney, weil hier die Fahrrinne weit weniger ausgebaut ist. Deshalb kann die Fähre auf Juist im Normalfall nur einmal pro Tag anlanden, während sie nach Norderney im Sommer bis zu 13mal ablegt. Daneben gibt es zusätzliche Wassertaxis, die mit nur wenigen Passagieren die jeweilige Strecke zurücklegen. Trotzdem muss die Reise auch nach Norderney gut geplant werden. Für Eilige gibt es auf beiden Inseln auch einen kleinen Flughafen.

Der Ausrufer von Norderney

Sie haben richtig gehört: es gibt ihn noch, den Ausrufer von Norderney. Heutzutage hat er nicht mehr die Aufgabe, die neuesten Meldungen der Stadt zu verlesen, sondern vielmehr Begrüssungen für spezielle Gäste vorzunehmen oder Geburtstage und Hochzeitsjubiläen zu verkünden. «Heute begrüsse ich die von am weitesten her angereisten Gäste: Brigitte und Hannes Huggel aus der Schweiz.» So schallte die tiefe Bassstimme von Bernd Krüger, umrahmt von Glockengebimmel, über den Platz an der Poststrasse. Bernd ist auch eine Art wandernder Fremdenführer und kennt jede Menge Geschichten von der Insel. «Weisst du warum die Ur-Nordeneyer immer einen Plastiksack auf dem Fahrrad haben?» So seine Lieblingsgeschichte: «Ein Fischkutter könnte ja anlanden und dann musst du bereit sein, um frischen Fisch zu ergattern.»

Ein verstecktes Kleinod

Unscheinbar, etwas versteckt neben dem prachtvollen Conversationshaus, entdecken wir dank der Norderneyer Marketingfrau Marnie Otzipka ein historisches Bauwerk, ein wahres Kleinod: Das 1893 im Stile eines Hoftheaters des 19. Jahrhunderts erbaute Kurtheater. Kein Wunder, bleiben doch Besucher, die es zum ersten Mal betreten, Mund und Augen offen – sie kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Im Kurhaussaal finden pro Jahr bis zu 500 Veranstaltungen statt. Vom Film für Jung und Alt bis zum Konzert. Das Haus ist ein grosser Kontrast zu vielen anderen Bauten, vor allem denjenigen aus den 60ziger Jahren, die leider das Bild am Strand dominieren. Zu den ehrwürdigen Bauten gehört auch das «bade:haus norderney», das schon zum «Best Public Bath in Europe» erkoren wurde und für seine Thalasso-Anwendungen bekannt ist.

Es sind diese abrupten Stilwechsel, welche die Stadt prägen. Hier eine schmale Gasse mit Dutzenden von Läden und (Fisch)-brötchen-Imbissbuden, da eine wunderbar grosszügige Parkanlage und an der Strandpromenade zahlreiche Restaurants mit ganz unterschiedlichen Angeboten. Hätten Sie hinter der «Giftbude Norderney» einen richtig guten Italiener vermutet, der aber auch hervorragende einheimische Fischgerichte serviert?

Auch der alteingesessene Fleischer Finn Deckena, der in der dritten Generation das Geschäft mitten in der Stadt führt, und der einzige übrig gebliebene Metzger ist, weiss einiges zu erzählen. Er selbst ist aus Überzeugung Metzger und wollte nie etwas anderes werden. Sein Grossvater hatte das Geschäft vor sechzig Jahren gegründet, die Eltern hatten es ausgebaut und jetzt steht die Übergabe an die nächste Generation vor der Tür. Deckena plagen die gleichen Sorgen, wie wir sie in der Schweiz kennen. «Ich würde gerne wieder Menschen ausbilden und an unseren schönen Beruf heranführen. Aber es meldet sich niemand, der mit Leib und Seele Fleischer werden möchte.» Deshalb hat er auch einen Produktionsbetrieb am Rande der Stadt und stellt dort Feinkost-Fertigprodukte her, die im Laden und an der Theke frisch verkauft werden.

Der ewige Kampf mit dem Meer

Wenn im Herbst die Sturmfluten hereinbrechen, wird es schnell mal ungemütlich. Zwar liegen die ganz grossen Sturmfluten schon ein paar Jahre zurück, doch der Kampf mit dem Meer ist allgegenwärtig. Das Meer bringt mal Sand und nimmt mal Sand. Sichtbar wird dieser Kampf auch bei einer Fahrt zu den Seehundbänken. Juist nennt sich selbst übrigens «die schönste Sandbank der Welt». Gar nicht so unpassend.

Die Sandbänke in der Nähe der beiden Inseln sind auch ein beliebter Aufenthaltsort für Seehunde und seit einiger Zeit auch für Kegelrobben. Ein Ausflug mit dem Küstenboot jedenfalls lohnt sich. Wenn man dann den Tieren näherkommt, ertönt unter den Passagieren dutzendfach ein staunendes, fröhliches «Jööh» oder «Häärzig». Tatsächlich lassen sich die putzigen Robben durch das herannahende Schiff nicht stören, ja sie wirken sogar recht zutraulich.

Seehund oder Robbe, das ist so ungefähr wie Apfel und Obst. Die Robbe ist der Oberbegriff, der Seehund eine von mehreren Arten. Diese ernähren sich fast ausschliesslich von Fischen, am liebsten kleineren Fischen – am liebsten Kiloweise. Es darf als ein Erfolg des Nationalparkes Wattenmeer gewertet werden, dass neben den Seehunden auch die Kegelrobben wieder heimisch geworden ist. Sie galt im Wattenmeer als beinahe ausgerottet.

Kompliziert, aber Öko

Für die Anreise aus der Schweiz nach Norddeich Mole – dem Fährhafen – ist der Nachtzug nicht ganz optimal. Das Seazen-Team hat aber bewiesen, dass es machbar ist. Die SBB empfehlen für die Anreise den Nightjet nach Hamburg bis Bremen zu nehmen und dann auf den Regionalzug der Deutschen Bahn umzusteigen. Dieser fährt aber nur alle zwei Stunden, so dass der Anschluss an die nur einmal pro Tag nach Juist übersetzende Fähre nicht immer optimal ist. Aber es gibt ja noch den Töwerland-Express – kleinere Boote, die mit rund 10 Passagieren verkehren. Und nach Norderney fährt die Fähre deutlich öfter. Für die Rückfahrt ist in Bremen möglicherweise ein längerer Aufenthalt nötig, doch diesen in dieser Stadt (s. Seazen Golf-Edition 2022) zu überbrücken ist ein Leichtes und eine schöne Ferienverlängerung. Bei der SBB kann der Nachtzug bis zu sechs Monate im Voraus reserviert werden. Und wir haben immerhin rund 290 Kilogramm CO2 eingespart.

Hotels und Restaurants

Sehenswürdigkeiten

Diese Reise wurde unterstützt von der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) in Zürich, von der Kurverwaltung Juist, www.juist.de, und von der Staatsbad Norderney GmbH, www.norderney.de.

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