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Weites Land und wilde Tiere

Ein Traum von Freiheit in Namibia

Fotos: Justin Hession

Scheinbare Unendlichkeit in alle Himmelsrichtungen und ein Firmament, in dem man sich verlieren möchte: Als von weitläufigen Wüsten und Savannen geprägtes und spärlich besiedeltes Land ist Namibia genau das richtige Reiseziel für alle, die einen Drang nach Freiheit und ein Verlangen nach Abenteuer verspüren.

O bwohl etwa 20-mal so gross wie die Schweiz, hat Namibia nicht einmal halb so viele Einwohner, nämlich gerade ein Viertel davon. Das ergibt eine Bevölkerungsdichte von 2,5 Einwohnern pro Quadratkilometer (in der Schweiz sind es rund 240) und da bleibt viel Platz für Nichts – was sehr viel ansprechender und aufregender ist, als es klingt. Statt dicht besiedelter Täler und Grossstädte geben hier ursprüngliche Landschaften und endlose Weiten den Ton an, während die wenigen Ortschaften, die diese Bezeichnung überhaupt verdienen, mit einem architektonischen Stilmix aufwarten, der viele Erstbesucher überraschen mag.

 

Überraschende Einflüsse an allen Ecken und Enden

Der Stilmix ist auf die wechselvolle Geschichte des Landes zurückzuführen, das einst eine deutsche Kolonie war und nach dem Ersten Weltkrieg in südafrikanische Verwaltung übergeben wurde, bis es 1990 die Unabhängigkeit erlangte. Bis heute sind die Spuren der deutschen Kolonialherrschaft im ehemaligen «Deutsch-Südwestafrika» deutlich sicht- und spürbar: Deutsch ist als Alltagssprache nach wie vor recht weit verbreitet und vor allem in Swakopmund und im kleinen Küstenort Lüderitz bestimmen historische, im deutschen Stil erbaute Gebäude das Bild – Fachwerkhäuser sind hier ebenso alltäglich wie viktorianische Bauten. Doch nicht nur die Architektur, auch die Mode ist in Teilen des Landes bis heute sichtbar von deutschen und auch britischen Einflüssen bestimmt.

Die Herero, die vor allem in Zentralnamibia ansässig sind, tragen teilweise nach wie vor jene viktorianische Kleidung, die ihnen während der Kolonialzeit von den deutschen Missionaren verordnet wurde und die nicht nur irgendwie fehl am Platz wirkt, sondern sich äusserst fotogen präsentiert. Im Zentrum stehen neben den hochgeschlossenen, mit Puffärmeln versehenen Kleidern vor allem die auffälligen Hüte der Frauen. Deren Form ist an die langen Hörner der für die Region typischen Nguni-Rinder angelehnt und wird mit zunehmendem Alter der jeweiligen Besitzerin weniger ausladend. Die Hommage an die Rinder ist nachvollziehbar, denn diese spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und auch Kultur des Volkes, das traditionell von der Viehzucht lebt.

Doch so vielschichtig, komplex und faszinierend die Geschichte, Architektur und Mode in Namibia auch sein mögen, für die meisten Besucher sind sie nur zweitrangig, ebenso wie die Vielfalt der namibischen Stämme – die Herero sind nämlich nur eine von rund einem Dutzend Ethnien, die Namibia ihre Heimat nennen. Der Star hier ist ganz eindeutig die Landschaft, gefolgt von der Tierwelt als vielversprechendem Nebendarsteller. Und, wie Seazen-Fotograf Justin Hession meint: «Wer nach Namibia reist, wird mit einem prall gefüllten Fotoalbum und bleibenden Eindrücken nach Hause kommen.»

„Fascinating as the country’s history may be, what amazed me as a photographer – apart from the animals and the adventure – was the landscape with its endless supply of geometric shapes.“


Justin Hession

Kontemplation und Reflektion in endlosen Weiten

Vielen Europäern gilt das Land als DIE Safari-Destination schlechthin und die Szenerie, in weiten Teilen geprägt von einer Kargheit, die in grossem Kontrast zu den sattgrünen Berghängen der Schweiz steht, übt ohnehin ihren ganz eigenen Reiz aus.

Dass zwischen zwei Ortschaften mehrere hundert Kilometer Distanz liegen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Dazwischen: viel scheinbare Leere, die in ihrer Einzigartigkeit mindestens genauso ansprechend, beeindruckend und überwältigend ist wie die eigentlichen Zielorte. In dieser Umgebung, in der die Strassen am Horizont Richtung Unendlichkeit zu führen scheinen und in der man den Wolken dabei zusehen kann, wie sie ihre eigenen Schatten jagen, fällt es leicht, innezuhalten und einfach nur der Stille und den eigenen Gedanken zu lauschen. Eine Fahrt über die einsamen Staub- und Schotterpisten hat etwas Meditatives, da heisst es aufpassen, dass man bei all der Tagträumerei nicht den Abzweiger zum nächsten Nationalpark verpasst – passiert schneller als gedacht, wenn vorher stundenlang endlose, menschenleere Weiten tonangebend waren.

Eine Reise durch Namibia folgt im wahrsten Sinne des Wortes dem Motto «der Weg ist das Ziel». Die meisten Überlandstrecken sind ungeteerte Pisten und nur hin und wieder gesäumt von Köcherbäumen oder Akazien, die sich unter der Last der riesigen, kunstvollen Nester von Webervögeln beugen. Bis zu 1’000 Kilogramm kann ein solches Nest wiegen, da überrascht es kaum, dass die Bäume unter dem Gewicht auch einmal einknicken oder das Nest auf eine angrenzende Stromleitung übergreift. So faszinierend diese Gebilde aber auch sein mögen, der Blick bleibt meist nicht lange daran hängen, denn aus der anfänglich wahrgenommenen Leere erhebt sich dann und wann unversehens ein einsamer Inselberg – etwa die Spitzkoppe rund 120 Kilometer östlich der Hauptstadt –, während andernorts tief in den Fels geschnittene Schluchten wie der
Fish River Canyon im Ai-Ais Richtersveld Transfrontier Park das Bild bestimmen.

Wenn in dieser einmaligen Kulisse dann noch Begegnungen mit wilden Tieren hinzukommen, sind die Glücksgefühle kaum zu toppen. Dabei muss man sich nicht einmal auf Safari begeben, um die fabelhaften Kreaturen des afrikanischen Kontinents hautnah zu erleben – mit etwas Glück sieht man entlang der Strassen nämlich nicht nur Weber- und Straussenvögel, sondern auch jede Menge Antilopen und das eine oder andere Zebra. Doch wie dem auch sei, die grössten Chancen auf Begegnungen mit den «Big Five» hat man natürlich in einem Nationalpark. Da ist es nur gut, dass es in Namibia gleich ein ganzes Dutzend davon sowie zahlreiche kleinere Schutzgebiete gibt, sodass es weder zu Staus noch zu grösseren Menschenaufläufen kommt, wenn Elefanten, Löwen, Giraffen oder Zebras sich ein Stelldichein geben.

„Silence is beauty and so too is solitude. They are kindred spirits and together they envelop Namibia.“


Justin Hession

Ausserirdische Landschaften und tierische Begegnungen

Obwohl es mitunter postapokalyptisch anmuten mag – und entsprechend als Drehort für Filme wie Mad Max oder Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum diente – wird Namibia gerne als «Afrika für Anfänger» bezeichnet. Es trägt diesen Stempel nicht zuletzt aufgrund seiner gut ausgebauten

Infrastruktur, die es auch unerfahrenen Abenteurern oder Familien ermöglicht, das Land auf eigene Faust zu erkunden und sich in Eigenregie auf Safari zu begeben. Vor allem der Standard der staatlich betriebenen Campingplätze ist beeindruckend: Oft weit abseits jeglicher Zivilisation gelegen und dennoch bestens ausgestattet, ermöglichen sie klassische Lagerfeuerromantik und das Gefühl, allein in der Wildnis zu campen, ohne dabei auf einen gewissen Komfort verzichten zu müssen.

Die beste Infrastruktur hat sicherlich der im Norden Namibias gelegene Etosha National Park, der zudem mit einem reichen Bestand an Wildtieren zu punkten weiss und so ist es kein Wunder, dass er die meistbesuchte Destination des Landes ist.

Doch wer sich nicht vor Offroad-Verhältnissen scheut, findet auch in anderen, weniger stark frequentierten Gegenden sein Glück und in Anbetracht der schier unfassbaren Vielfalt und grossen Kontraste, die dieses Land zu bieten hat, wäre es ohnehin eine Schande, sich nur auf eine Region zu konzentrieren.

 

Die Salzpfanne von Etosha

Hier, im Norden des Landes, herrschen weite Savannen vor, die zu den Rändern hin in Buschland und Wald übergehen und in deren Zentrum eine riesige, weisse Salzpfanne das Bild bestimmt. Diese hat dem Nationalpark auch seinen Namen eingebracht, denn Etosha, ein Begriff aus der Sprache der Ovambo – ihres Zeichens die grösste ethnische Gruppe in Namibia – bedeutet nichts anderes als «grosser weisser Ort». Der ausgetrocknete Salzsee, der sich über mehrere tausend Quadratkilometer erstreckt, nimmt rund ein Viertel der Parkfläche ein und ist sogar aus dem All zu sehen. Nicht so die Tiere: Selbst Riesen, wie es die Elefanten sind, sind so gut getarnt – und scheinbar auf Samtpfoten unterwegs – dass sie mit der Umgebung zu verschmelzen scheinen und man sie oft erst wahrnimmt, wenn sie einem quasi direkt vor der Nase stehen. Doch dank der spärlichen Vegetation und der nachts beleuchteten Wasserlöcher bekommen Besucher in Etosha Unmengen von Vierbeinern zu Gesicht, oft auch aus nächster Nähe. Da kann es durchaus passieren, dass man sich weniger als ein aus dem Fahrzeug staunender Beobachter und mehr als ein Statist in einer Naturdoku fühlt.

Und als wäre das nicht genug des Guten, kann es ausserdem vorkommen, dass eine Fata Morgana das ohnehin schon zauberhafte Naturschauspiel ergänzt: Die weiten, flachen Salzpfannen gepaart mit extrem heissen Temperaturen können dazu führen, dass weiter entfernte Objekte verzerrt oder als schwebende Bilder erscheinen. Selbst Illusionen von Wasserflächen oder anderen nicht vorhandenen Objekten sind möglich und so heisst es aufpassen, um nicht den Sinn für die Realität zu verlieren…

„It seems a bit crazy to be allowed to drive through Etosha, unguided, and be able to stop whenever and wherever… or just to let a herd of elephants pass.“


Justin Hession

Die Dünen von Sossusvlei

Im mit fast 50’000 Quadratkilometern grössten Park des Landes, dem Namib-Naukluft National Park, sind die Dünen von Sossusvlei das mit Abstand populärste Ziel und auch wenn sie gut 300 Kilometer abseits der nächsten Hauptstrasse liegen, lohnt sich der Abstecher allemal. Die höchsten Sandberge der Welt sind ein UNESCO-Welterbe und auf der Webseite eines lokalen Anbieters heisst es gar:

«The dunes, which once could have meant death, are now as friendly, magical and inviting as the winding landscape of the Swiss Alps – only warmer.»

Dem mag man zustimmen oder nicht, doch der Anblick der Sandverwehungen, die mit lasziv geschwungenen Rücken bis zu 300 Meter in die Höhe wachsen, ist tatsächlich magisch – ebenso magisch wie das Schauspiel, das sich bietet, wenn der Sand im Laufe des Tages von tiefem Rot zu sattem Orange changiert. Vom Dünenkamm aus bieten sich unverstellte Aussichten auf die Umgebung, doch wem der Aufstieg zu anstrengend ist, der kann alternativ auch in einen Heissluftballon steigen und aus luftigen Höhen den Ausblick geniessen – ein Erlebnis, das auf meiner persönlichen To-do-List ganz weit oben steht.

Zwischen den Bergen aus Sand: trockene Lehmböden und abgestorbene Bäume, die zwar nur äusserst spärlichen Schatten spenden, aber diesen Makel wettmachen, indem sie den perfekten Kontrast zu den Dünen darstellen und fast wie die Profis als gern gesehene Fotomodelle herhalten.

Die Felslandschaft im Fish River Canyon

Noch einmal einen ganz anderen Aspekt der geografischen und geologischen Vielfalt Namibias stellt der Fish River Canyon dar. Hier geben eindrucksvolle Felsformationen den Ton an und statt Tierbeobachtungen steht die sportliche Betätigung im Vordergrund: Der bereits in den 1960er-Jahren etablierte Fish River Canyon Trail ermöglicht es Besuchern mit dem nötigen Fitnesslevel und der erforderlichen Genehmigung, rund 85 Kilometer der insgesamt mehr als 160 Kilometer langen Schlucht, die sich bis zu 500 Meter tief in den Fels frisst, zu durchwandern. Die anspruchsvolle Route führt in vier bis sechs Tagen vom Ausgangspunkt in Hobas – nicht mehr als ein Campingplatz mit ein paar zusätzlichen Zimmern in einer Lodge – vorbei an beeindruckenden Felsformationen durch das Flussbett des Fish River. Sie endet in Ai-Ais, das bei aller landschaftlichen Schönheit den Charme eines kommunistischen Ortes aus den 1980er-Jahren versprühte, als ich – vor zugegeben ziemlich langer Zeit – dort war. Doch in Anbetracht der heissen Quellen, die mit ihrem bis zu 60 Grad warmen Wasser genau richtig sind, um müde Knochen und Geister am Ende einer langen Wanderung wiederzubeleben, ist der Charme-Faktor für die meisten Besucher vermutlich zweitrangig.

Ein Paradies für Offroader

Ob Etosha, Namib, Kalahari oder die Gebirgszüge im Damaraland, die riesigen Ausdehnungen des Landes bedeuten, dass oft weite Strecken zurückzulegen sind, um von einer Destination zur nächsten zu gelangen. Diese Distanzen erfordern freilich einen fahrbaren Untersatz und auch wenn es Langstreckenbusse gibt, sind diese keine Option, da sie sich an die befestigten Hauptverkehrsadern halten müssen und nur in einigen wenigen grösseren Ortschaften oder Städten anhalten – für Safaris sind sie naturgemäss nicht zu haben.
Ohne eigenes Auto kommt man – zumindest als Tourist – also nicht besonders weit. Die Einheimischen hingegen sind vor allem ausserhalb der Ballungszentren oft unmotorisiert und entweder zu Fuss unterwegs oder auf Mitfahrgelegenheiten angewiesen. «We go in your car, I donʼt have one», heisst es so auch auf dem Flyer eines geschäftstüchtigen San, der Touren in der Kalahari anbietet. Während es nicht nur in der Kalahari, sondern auch in zahlreichen anderen Landstrichen und Kommunen häufig an fahrbaren Untersätzen mangelt, sind die Mietfahrzeuge für Touristen dagegen mit allem Drum und Dran ausgestattet, das man zum komfortablen Überleben «in the bush» benötigt, vom integrierten Schlafplatz über die Aussendusche bis zum Gaskocher und – ganz besonders wichtig – guten Reifen und dem für allfällige Pannen nötigen Werkzeug.

Dabei ist dieses Zubehör keinesfalls übertrieben, denn schliesslich wird das Auto zu einem Zuhause auf Zeit. Lagerfeuerromantik ist garantiert, und das Dachzelt bietet dank seiner erhöhten Position nicht nur Schutz vor wilden Tieren, sondern auch eine unverstellte Sicht aufs Firmament – die Milchstrasse scheinbar zum Greifen nah. Es geht aber natürlich auch luxuriöser, wobei sich über die Definition von Luxus streiten lässt: Was den einen Lagerfeuerromantik und eine Buschdusche unter freiem Himmel, ist den anderen eine Lodge mit eigenem Pool vor dem Schlafzimmer und einem umfassenden Angebot, das vom exklusiven Butler-Service bis zu geführten Safaris per pedes oder hoch zu Ross reicht. Haben kann man in Namibia beides und egal, für welche Option Sie sich entscheiden, Sie bewegen sich meistens abseits von Menschenmassen und sind frei, sich Ihren Träumereien hinzugeben…

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